Der verzweifelte Versuch des Körpers mit Ihnen in Kontakt zu treten
"Geh du vor", sagte die Seele zum Körper, "auf mich hört er nicht.
Vielleicht hört er auf dich."
"Ich werde krank werden. Dann wird er Zeit für dich haben."
sagte der Körper zur Seele.
- Ulrich Schaffer-
Die Entstehung von Angst- und Panikstörungen
Angst und Panikstörungen haben nie nur eine einzige Ursache. Meist handelt es sich um ein Zusammenspiel aus Auslösern, biologischen Faktoren und der eigenen Lerngeschichte. Nachfolgend finden Sie kurze Erklärungen zu den einzelnen Bereichen.
Einen besonderen Fokus in meiner Arbeit mit Angstpatienten lege ich allerdings auf die so genannten aufrechterhaltenden Faktoren. Die mit Ängsten und Panik verbundenen Folgen für die Betroffenen und das Umfeld spielen eine ganz entscheidende Rolle bei der Auflösung solcher Probleme.
Zunächst folgt aber ein Einblick in die "Basics" der bisher bekannten Ursachen für Angst- und Panikstörung:
Auslöser
Zu den Auslösern, zählen Stressereignisse und Konflikte, die in jüngster Vergangenheit aufgetreten sind. Sie sind quasi das Wasser, dass das Fass zum überlaufen bringt. Solche Auslöser können wie folgt aussehen:
Konflikte in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, mit den Kindern, mit den Eltern, mit Freunden
anhaltende Schwierigkeiten und Sorgen in der Kindererziehung
Unzufriedenheit im Job, Mobbing am Arbeitsplatz
Pflege von Angehörigen
Überforderung mit Alltagsdingen
Verluste von Familienmitgliedern durch Trennung oder Tod
Verlust des Arbeitsplatzes
Auszug der Kinder ("empty nest")
Eintritt ins Rentenalter
Umzüge und Veränderungen der Lebensumstände (Geburt eines Kindes, Hochzeit, Auszug aus dem Elternhaus)
Je nachdem, wie viele dieser Themen auf einmal im Leben stattfinden und je nachdem wie gut unsere Fähigkeiten in der Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen sind, können wir besser oder schlechter mit diesen Stressoren umgehen. Bei manchen Menschen reicht bereits eine große Belastung aus, die dann zur Dekompensation führt, bei anderen müssen erst mehrere Stressoren auftreten, bis sich körperliche oder psychische Symptome zeigen.
Warum?
Dies liegt daran, dass es neben den auslösenden Faktoren auch noch jedem Menschen innewohnende biologische und persönliche Eigenschaften gibt, die das Auftreten einer Angst- oder Panikstörung wahrscheinlicher machen. Diese Eigenschaften werden in den so genannten "vorausgehenden Bedingungen" zusammengefasst.
Vorausgehende Bedingungen
Biologische Faktoren
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Angsterkrankungen innerhalb von Familien häufiger auftreten. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man eine Angsterkrankung bekommt, wenn die Eltern eine hatten, allerdings erhöht sich die Wahrscheinlichkeit dahingehend. Die Ursachen, die eng mit der Biologie unseres Körpers verknüpft sind, werden unter dem Punkt biologische Ursachen zusammengefasst.
Dazu zählen:
psychische Erkrankungen in der Familie
chronische Erkrankungen
ungewöhnliche Stoffwechselvorgänge
Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt
Erlernte Faktoren
Angst kann man erlernen. Im Verlauf der Lebensgeschichte verknüpfen wir bestimmte körperliche Reaktionen mit bestimmten äußeren Reizen. Wenn uns im Bus mal übel wurde, kann es passieren, dass der Körper die Übelkeit und den Bus miteinander verknüpft und wir ein flaues Gefühl im Magen bekommen sobald wie in einen Bus steigen. Das Konzept nennt man Konditionierung. Bei der Panikstörung können Paniattacken immer und überall plötzlich auftreten. Als Folge dessen haben die Betroffenen Personen ständig Angst, dass eine Panikattacke auftreten könnte und entwickeln bestimmtes Vermeidungs- oder Sicherheitsverhalten. Man spricht dabei von der "Angst vor der Angst". Um sich besser zu fühlen flüchten Menschen aus Situationen in denen eine Panikattacke auftreten könnte schon bei den kleinsten Anzeichen körperlicher Veränderungen. Dadurch entsteht der fatale Lerneffekt, nur weil ich aus der Situation geflüchtet bin, habe ich keine Panikattacke bekommen. Dies "merkt" sich der Körper und möchte dann immer wieder aus der entsprechenden Situation flüchten.
Auch das Modelllernen kann hier eine Rolle spielen. Kinder nehmen sich Eltern als Rollenvorbilder und imitieren ganz automatisch deren Verhalten. Wenn Eltern sich eher ängstlich, nervös oder zurückhaltend verhalten, übernehmen auch die Kinder diese Einstellung. Wenn Eltern den Kindern oft sagen "pass auf, sei vorsichtig, dir kann was passieren, ..." entwickeln Kinder eine eher unsichere Sicht auf die Welt. Sie haben dann gelernt "die Welt ist gefährlich, man muss immer aufpassen.".
Aufrechterhaltende Faktoren
Auf diesen Punkt möchte ich besondere Aufmerksamkeit legen. Meiner Ansicht nach, liegt in diesem Faktor der Kernpunkt für die Beharrlichkeit, mit der Angststörungen auftreten.
Zu den aufrechterhaltenden Faktoren gehören das Verhalten der betroffenen Person beim Auftreten einer Panikattacke sowie die Reaktionen des Umfeldes, wenn Ängste auftreten.
Stellen Sie sich vor, sie gehen in den Supermarkt, haben dort eine Panikattacke, verlassen den Laden und gehen am nächsten Tag wieder einkaufen ohne ständig an die Panikattacke am Vortag zu denken. Sie entwickeln kein Vermeidungsverhalten von Supermarktbesuchen, sie suchen sich keine Sicherheitsstrategien, nehmen keine Medikamente vor dem Einkaufen ein und denken auch sonst nicht groß über die Panikattacke nach. In diesem Fall würde sich keine Panikstörung entwickeln, da Sie nicht mit Sicherheits- oder Vermeidungsverhalten die Angst auftrecht erhalten würden.
Somit spielt bei Angst- und Panikattacken nicht nur der Ursprung eine Rolle, sondern auch unser Verhalten während und nach einer Attacke.
Ein weiterer Aspekt, der zunächst unbewusst arbeitet, ist das Verhalten des Umfeldes und der Mitmenschen auf eine Angst- oder Panikattacke. Natürlich werden uns die Menschen in unserer Familie Hilfe anbieten, wenn es uns schlecht geht. Sie werden vielleicht Aufgaben übernehmen, um uns zu entlasten. Wenn Sie aufgrund von Ängsten nicht mehr einkaufen gehen können, übernimmt den Einkauf ab sofort vielleicht der Partner. Wenn Sie in der Beziehung viel Streit haben und plötzlich während eines Streitgespräches eine Panikttacke erleiden, wird der Streit unterbrochen, da Sie sich ausruhen müssen. Dies führt unbewusst dazu, dass sich die Ängste durch so genannte "Verstärkung" verfestigen.
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Betroffenen nicht mit Absicht Angst haben, um bestimmte Verhaltensweisen bei anderen zu erzeugen! Es ist ein schleichender Verstärkungsprozess der zunächst unbewusst abläuft. Ihre Angehörigen meinen es natürlich nur gut, wenn Sie Ihnen Unterstützung anbieten, Streitgespräche zurückstellen und Ihnen mehr Pausen gönnen, als früher. Leider führt dies eben Stück für Stück dazu, dass Sie immer mehr aus den Alltagsaufgaben zurücktreten und sich dadurch die Angst noch mehr verstärkt.
Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel sehr schön, was tatsächlich hinter den Kulissen der Angsterkrankung abläuft. Durch die Unterstützung der Angehöringen und die erzwungenen Pausen passiert nämlich etwas im Leben der Betroffenen: Entlastung, Entschleunigung, Ruhe! Dies sind die eigentlichen "Ziele", die der Körper durch "Entsendung" einer Panikattacke verfolgt.
Panikattacken als Hilferuf sehen
Was passiert, wenn wir Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat mehr Energie von unserem Körper fordern, als wir ihm zuführen?
Es entsteht ein Energiedefizit!
Leider macht sich dieser Mangel im Energiehaushalt nicht sofort deutlich. Es ist einfach bestimmte Erschöpfungssignale und Stresssymptome zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass "es bald wieder besser" wird. Leider nimmt die tägliche Belastung durch Arbeit, Haushalt, Kinder, etc. nur selten "einfach mal so" ab. Wenn man nicht selbst aktiv an Grenzsetzung und Selbstfürsorge arbeitet, passiert meistens einfach nichts.
Nachdem man über eine lange Zeit, den Körper wieder und wieder vertröstet hat, sich durch die nächste "stressige Phase" kämpft, nach der dann doch nicht die lang ersehnte Erholung ansteht, "rächt" sich der Körper irgendwann dafür. Das Ergebnis kann sein, dass man urplötzlich von einer Panikattacke im Alltag gestoppt wird.
Von heute auf morgen, treten bei normalen Alltagssituationen Panikattacken auf, die die betroffene Person quasi dazu zwingen, Pause zu machen, sich hinzusetzen, Aufgaben abzugeben, im Bett zu bleiben, weniger zu machen oder sich krank schreiben zu lassen.
Auf Seiten des Körpers ist es genau das, was er sich all die Zeit davor gewünscht hat. Nur wurde sein leises Anklopfen und Erbitten von Pausen einfach überhört.
Leider ist es für die von Panikattacken betroffenen Personen häufig unerklärlich, warum sie jetzt von Panikattacken heimgesucht werden. In der Therapie sprechen wir davon, dass jedes Symptom, was bei einer psychischen Erkrankung auftritt, auch einen Sinn hat. Es geht darum hinter die Probleme, die mit der Symptomatik einhrgehen zu schauen und herauszufinden, was der Körper damit vielleicht erreichen möchte.
Das kann ein klein wenig wie Detektivarbeit anmuten. Allerdings sind viele Hinweise bereits im Alltag der Klient*innen zu finden. Wenn auf die Frage "Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche?" die Antwort kommt "Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich gehe morgens hin und höre abends wieder auf", dann ist das schon ein deutliches Warnsignal.
Unser Körper ist ein cleverer Überlebenskünstler. Bevor er an totaler Erschöpfung verstirbt, schiebt er dem ganzen lieber einen Riegel vor. Beispielsweise indem er Sie mit einer Panikattacke aus dem Supermarkt flüchten lässt, damit Sie sich zu Hause hinlegen und dort auch erstmal die nächste Zeit bleiben. Auf Seiten des Körpers ist diese Taktik effektiv und klappt hervorragend. Auf Seiten der betroffenen Person ist diese Strategie extrem hinderlich.
Die Lösung: Im Einklang mit dem Körper arbeiten
Der einzige Weg raus aus der Panikfalle ist die Arbeit mit statt gegen den Körper. Belastungsgrenzen rechtzeitig zu erkennen und nicht erst, wenn die ersten körperlichen Ausfallerscheinungen stattfinden. Viele Klient*innen mit denen ich spreche, geben zu, dass sie häufig den Gedanken haben, dass das alles nicht gesund sein kann und bestimmt zu viel ist, dass sie aber auf der anderen Seite, keinen anderen Weg sehen können.
Daher ist ein ganz großes Ziel in meinen Beratungen die Selbstfürsorge. Eng verbunden damit sind die Themen Grenzen setzen, Bedürfnisse wahrnehmen und durchsetzen sowie Achtsamkeit und Selbstmitgefühl. Beim Äußern und Durchsetzen der Bedürfnisse hilft die Gewaltfreie Kommunikation, welche ich ebenfalls mit meinen Klient*innen übe.
Eine Übung, die Ihnen helfen kann, zu erkennen, ob Sie über Ihre körperliche Belastungsgrenze hinaus wirtschaften, ist die Energietorte.
Zeichnen Sie einen Kreis und überlegen Sie: Wieviel Prozent Ihrer Zeit verbringen Sie mit welchen Dingen? Verschaffen Sie sich einen Überblick und tragen Sie für einen durchschnittlichen Wochentag alle Zeitabschnitte in den Kuchen ein. Die folgenden Lebensbereiche könnten in Ihrer Torte vorkommen: Arbeit und Beruf, Wegezeiten, Kinderbetreuung, Partnerschaft, Haushalt, Hobbies, Zeit für sich selbst.
Ist Ihre Zeit ausgewogen verteilt? Kommt Ihre Energie bei den Bereichen an, die Ihnen wichtig sind? Gibt es Lebensbereiche, für die Sie mehr Zeit haben möchten?
Vielen Menschen, die diese Übung durchführen, fällt schon auf den ersten Blick auf, dass Sie eigentlich mehr als 100 % Energie pro Tag verbrauchen. Gefühlt stecken sie schon 70 % Energie in Arbeit und Haushalt und weitere 30 % in Kinderbetreuung und zack, schon sind 100 % verbraucht, obwohl man noch keine Zeit für Hobbies, Partnerschaft oder für sich selbst eingerechnet hat.
Daher wirtschaften viele von uns in einem kontinuierlichen Energiedefizit, was irgendwann auf uns zurückschlägt.
Wenn Sie Unterstützung brauchen, um wieder im Einklang mit Ihrem Energiehaushalt zu stehen, wenn Sie Ihre Grenzen selbst setzen möchten, damit Ihr Körper das nicht für Sie übernehmen muss, wenn Sie einen Weg raus aus der Panikfalle suchen, dann melden Sie sich für ein kostenloses Kennenlerngespräch.
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